Bürgerkriegsspuren

Bürgerkriegsspuren

Bürgerkriegsspuren

LIBANON. Elf Jahre war Alexandre Najjar alt, als eine Gewehrsalve seinen Schulterbus durchsiebte. Eine der Kugeln bohrte sich in seinen Brustkorb. Nur wenig entfernt von seinem herzen blieb sie stecken. Ein Chirurg rettete in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Libanon das Leben des Schülers. Seit 1978 steckt die Kugel aber in Alexandre Najjar, der seit seinem ersten Roman “Die verbannten des Kaukasus” (1995) zu den Hoffnungsträgern der Frankophonie zählt. Als er nach sieben Jahren im Exil vom Pariser Flughafen Orly in seine Heimatstadt Beirut zurückkehren wollte, blinkte das Licht der Sicherheitsschleuse immer wieder auf. Der junge Jurist zog aus der Reisetasche eine Röntgenaufnahme seines Brustkorbs, die die Kugel zeigt. “Ich habe mich an diesen Fremdkörper gewöhnt, der in meinem Körper lebt. Ihn herauszunehmen würde nichts ändern: Der Krieg bewohnt mich, so oder so.” Najjars Erinnerungen an seine Kindheit enthalten weder eine politische Analyse des libanesischen Bürgerkriegs noch eine ideologische Rechtfertigung für irgendeine der Konfliktparteien. Mit dem unschuldigen Blick eines Kindes, das seiner Kindheit beraubt wurde, zeigen sie aber den Alltag des Krieges, in dem nicht der erste Kuß zum Thema wurde, sondern die erste Leiche. Im Krieg habe er dem Tod die Hand gedrückt, und ohne den Krieg wäre er ein anderer Mensch geworden, bekennt der heutige Berater des libanesischen Kultusministers. Denn noch immer mache er jeden Tag das durch, was er in jenen Jahren erlebt habe. Wie viele seiner Landsleute hat Najjar den Bürgerkrieg noch lange nicht verarbeitet. Auf vergilbten Klassenfotos sucht der Rückkehrer heute den vermummten Milizionär und Kameraden, der ihm einmal bei einer Straßensperre das Leben gerettet hat. Beim Gang durch die Straßen Beiruts fallen ihm die Risse auf, die sich wie Narben durch die Mauern der Gebäude ziehen. Und noch immer läuft ihm ein Schauer über den Rücken, wenn er an die Heckenschützen denkt, die sich einst hinter einem Wall aus Feigheit und Hemmungslosigkeit versteckt hatten: “Wo sind sie heute? Juckt sie der Zeigefinger nicht mehr, der den Abzug drückte?”

(Alexandre Najjar: Die Schule des Krieges. Herausgegeben und übertragen von Huberta von Voss-Wittig. Verlag Das Arabische Buch, Berlin 20001. 112 Seiten, 16 Euro)